30 Jahre Eurodance: Danke D.J. Bobo

Am 10. Januar 1993 stieg der Titel “Somebody Dance With Me” des ehemaligen Aargauer Bäcker und Konditor René Baumann, besser bekannt unter dem Künstlernamen D.J. Bobo, auf Platz 36 der Schweizer Single-Hitparade ein. Was niemand für möglich gehalten hatte, dass ein Schweizer Dance-Act in der von internationalen Künstlern dominierten Club- und Dance-Szene überhaupt einen Hit landen könnte, war doch passiert. Obwohl der Titel in der zweiten Woche wieder auf Platz 40 zurück fiel, begann mit diesem Titel die Geschichte eines neuen Musikgenres, das wir heute unter dem Begriff Eurodance bestens kennen und der wie kein anderer die Discotheken in den frühen 90er Jahren dominierte.

Die Geschichte von D.J. Bobo, seine Anfänge, die Steine die ihm von Radiostationen und der Musikpresse in die Wege gelegt wurden und wie er beharrlich seinen Weg in die grössten Europäischen Arenen fand kann man in unzähligen Biographien nachlesen. Deshalb werde ich hier nicht mehr detailliert darauf eingehen. Alternativ ist dieses Wiki vielleicht noch für die hilfreich, die seine Geschichte grob lesen möchten.

Mit diesem Blogeintrag danke ich René Baumann, aka D.J. Bobo (ja der DJ schrieb sich zu Beginn noch mit Punkt), denn er war nicht gerade unschuldig dass auch ich heute noch als Discjockey meine Brötchen verdiene (er bäckt wahrscheinlich keine mehr wie damals in Kölliken).


Tekkkno Logic im Gersag Emmen


Meine erste Begegnung mit DJ Bobo war 1992 im Zentrum Gersag in Emmen. Er und sein späterer Manager Oliver Imfeld organisierten schon seit geraumer Zeit eigene Parties. Mit diesen Parties promotete er sich und seine ersten Maxi-Singles die er grösstenteils in Eigenregie veröffentlichte. Ich bin in der Innerschweiz gross geworden und arbeitete damals schon für den Musik-Konzern EMI Music als Salespromoter im Aussendienst. Das in Zürich angesiedelte Unternehmen gibt es heute nicht mehr; es gehört grösstenteils zur Universal Music und Warner Music Group. Zusammen mit meinem Jugendfreund Nils Blättler aka TJ Spool (gest. 2019) hatte ich auf meinem eigenen Hinterhof-Musiklabel AN Records eine Techno-CD mit dem Projektnamen Tekkkno Logic veröffentlicht (das Album hielt sich im Sommer 1992 für zwei Wochen in den Schweizer Albumcharts). Um diese CD zu promoten hatten wir DJ Bobo telefonisch kontaktiert, ob wir mit einem Track am Abend im Gersag an besagter Party auftreten könnten. Er war nicht abgeneigt und sagte zu. Also fuhren wir ins Gersag. Nils installierte seinen Super-8 Projektor und zusammen mit einer Freundin aus unserer Clique die wir als Tänzerin engagierten performten wir an jenem Abend den Track “Mountains” (ein Titel der an Enigma’s “Sadness Part I” angelehnt war). René pries noch unsere CD an, die wir im Foyer verkauften und übernahm wieder das Zepter, denn er hatte noch vor an jenem Abend die “Live in Switzerland” Version seines neusten Hits “Somebody Dance With Me” zusammen mit der Aargauer Sängerin Emel vor Publikum und für die Maxi live aufzunehmen. Ein gelungener Schachzug von ihm! Das anwesende Publikum war also Teil dieses historischen Events. Bobo schenkte uns für den Abend noch zwei Tickets….immerhin mussten wir keinen Eintritt bezahlen!

Powerzone - Its Just A Party - Mein erster Single Hit

Zwei Monate nach dem Einstieg von DJ Bobo’s “Somebody Dance With Me” stieg das Thurgauer Studioprojekt “Powerzone” mit dem Titel “It’s Just A Party” am 14. März 1993 auf Platz 35 der Schweizer Singlecharts ein. 4 Wochen später stieg der Song auf die höchste Position, Platz 8. Insgesamt hielt er sich 18 Wochen in den Top 40 der CH-Hitparade! Eine beachtliche Leistung für meine erste, selber finanzierte Single.
Ich war nach wie vor bei der EMI Music als Salespromoter tätig und ich betrieb nach Arbeitsschluss mein Hinterhoflabel “AN Records” von Matzingen (TG) aus. Eine Verkäuferin eines CD-Shops drückte mir ein Demotape in die Hand und meinte, das wär doch was für dich, oder? Ub ob es das war. Das Studioprojekt Powerzone bestand u.a. aus Peter “Pitch” Bächinger und Steve “Meadow” Wiesli (nicht Ste Wittwer!) sowie den Gebrüdern Hofer, die hauptsächlich für die Grafische Umsetzung des Projekts zuständig waren. Schnell wurden wir uns handelseinig und in Windeseile, ohne Marketing oder Promotionplan presste ich die ersten 500 oder 1000 Stück CD-Maxis. Peter und Steve stellten einen Live-Act zusammen, zwei platinblonde und für damalige Verhältnisse gut aussehende Zwillingsschwestern tanzten und mimten zum Playback auf der Bühne (die Namen sind mir entfallen, denn sie wurden schon nach kurzer Zeit durch die Schweiz-Asiatin Jessica und die Schwyzerin Sandy ersetzt (die hatten etwas mehr Power….immerhin hiess das Projekt ja Powerzone). Mit diesen Girls tourten wird durch die damals angesagtesten Discotheken und Wanderdiscos der Schweiz in der Hoffnung in die Fussstapfen unseres grossen Vorbildes DJ Bobo treten zu können. Wir waren nicht die einzigen, die es ihm gleichmachen wollten. Sandman, Camen oder Rythmica und viele andere Schweizer Eurodance Produzenten und Projekte buhlten um die Eurodance-Krone! Trittbrettfahren in einem Trend ist nichts neues.

Powerzone 1. Formation

Powerzone - 1. Formation mit den “Zwillingen”

Powerzone 2. Formation

Powerzone - 2. Formation mit Jessica und Sandy



Africa - Mein zweiter Single Hit


Mit Peter und Steve, die in Weinfelden wohnten und die in den Quivelda Studios in Peter’s Elternhaus am nächsten Hit brüteten, zog ich damals fast jedes Wochenende um die Häuser sprich die Dorfdiscotheken. Während DJ Bobo bereits ausserhalb der Schweiz die Hallen füllten, produzierten wir in Winterthur diesmal auch mit Ste Wittwer (DJ Ste) und der “echten” Sängerin Lydia Trane den zweiten Hit von Powerzone; eine Coverversion von Rose Laurens Welthit “Africa”. Ich selber sang sogar bei den Backingvocals im Refrain mit! Mein Arbeitgeber, die EMI Music hatte mir zwischenzeitlich “empfohlen” mein Hinterhoflabel zu ihnen zu bringen und mich als Teilzeit A&R Manager einzustellen. Das gab mir etwas mehr finanziellen Rückhalt aber auch viel Bürokratie. Rückbllickend hätte ich lieber die Unabhängigkeit wählen sollen. Der Apparat eines Multikonzerns mag in erster Linie verlockend sein, aber die Trägheit der internen Bürokratie trieb mich immer wieder zur Weissglut! Ausserdem war der Erfolgsdruck grösser geworden. Bei meinem Hinterhoflabel war in erster Linie etwas entscheidend; das investierte Kapital wieder zu erwirtschaften und den Gewinnn in die nächste Produktion stecken. Nun gut, auf jeden Fall hatte ich mit der Idee, eine Coverversion als Followup zu machen, die richtige Spürnase. “Africa” stieg am 26. September 1993 in die Top 20 ein und hielt sich immerhin 5 Wochen lang in der Schweizer Hitparade. Das Projekt versandete aber danach wie so viele andere Eurodance-Hits. 1996, als ich bereits nicht mehr für die EMI arbeitete und die Jaxx GmbH gründete gab es nochmals eine Wiedergeburt von Powerzone. Die Vocals stammten von niemand geringerem als der Ex-Miss Schweiz Stephanie Berger. Auch dieser Song von Powerzone hielt sich 1996 für 5 Wochen in den Charts! Geblieben war eine schöne und wilde Zeit und eine Zusammenarbeit, die mir 1994 zum ersten lokalen No. 1 Hit der EMI seit Jahren verhalf!


Mein erster No. 1 Hit - D.J. Igo - Freude Herrscht


Bevor ich aber die EMI ende 1996 verliess lieferte mir die Quivelda Productions nochmals einen Knüller ab. Ein Song zur Fussball WM 1994 in den USA, an der die Schweizer Nati endlich wieder mal teilnehmen konnte. Die Euphorie war enorm. Peter “Pitch” B. hatte einen Knaller in seinem Tonstudio in Eigenregie produziert: DJ Igo - Freude Herrscht (Ohne Wenn Und Aber). Unter die eingängie Hookline und dem typischen Eurobeat der 90er hatte er Original-Töne des entscheidenden Fussballspiels Schweiz-Estland (4:0) und die von Alt-Bundesrat Adolf Ogi gelegt (deshalb auch D.J. Igo - Ogi verkehrt herum geschrieben). Nach zähen Verhandlungen mit dem SRF und vor allem dem Bund, konnten wir die Single veröffentlichen. Dank Francois Mürner von DRS 3 und dem Sport-TV des SRF wurde der Song innert kürzester Zeit zum No. 1 Hit. Der “offizielle WM Song” von Double Heart “Sterne über Amerika” schaffte es erst gar nicht in die Charts! Am 29. Mai 1994 stieg Freude Herrscht in die Charts ein, am 10. Juli 1994 war er Platz 1. 17 Wochen hielt er sich in den Top 50. Der Follow Up Titel “Far Away” schaffte es immerhin noch auf Platz 18 und hielt sich 7 Wochen lang dort auf.



2SHY - I’d Love You To Want Me


Nach DJ Igo war etwas Funkstille. Aus den Quivelda Studios kamen zwar gute Ideen, aber es fehlte einfach an guten Stimmen. Pitch wollte den Lobo Klassiker “I’d Love You To Want Me” produzieren. Aber mit wem und vor allem wann? Trotz eines No. 1 Hits in den Charts kann niemand davon leben. Wer es nicht gepackt hatte wie DJ Bobo, DJ Antoine, Francine Jordi, Gölä oder Trauffer und ein beständiges und hart arbeitendes Team um sich scheren kann, hat es schwer. Ausserdem war Pitch an der Uni und Steve involviert in der Schreinerei seines Vaters. Und die EMI verdonnerte mich dazu die Mundartsängerin Natacha zu verpflichten (ein fataler Fehler, denn just zu dem Zeitpunkt lieferte sie uns ihr grottenschlechtestes Album ab, was mich dazu bewegte bei EMI das Handtuch zu werfen). Als ich weg war, nahm ein erfahrener Mann die Zügel in die Hand und Natacha konnte doch noch bei EMI punkten. Vielleicht war ich einfach nicht gemacht für Mundart? Bevor ich aber das Desaster erlebte wurde mir aber noch das Winterthurer Boy-Duo “2 SHY” bei EMI Switzerland vorgestellt. Der Inhaber eines DJ-Bemusterungsdienstes war auf die beiden Jungs aufmerksam geworden. Ich erzählte ihm, dass ich einen Sommerhit im Stil von “There Is A Party” von DJ Bobo veröffentlichen möchte. Die Jungs lieferten mir die Version des Lobo Klassikers ab und sie bekamen den Deal bei EMI Switzerland. Der musikalische Kopf hinter 2SHY war in erster Linie Michael Kull aka Mike Candys (House-DJ). Im Wikipedia Eintrag zu Mike Candys steht, dass 2 SHY bei EMI Electrola (also in Deutschland) unter Vertrag waren; das stimmt so nicht! Ich signte als A&R Manager das Duo bei EMI Switzerland und die Electrola nahm die Band nie unter Vertrag. Sie veröffentlichen als Deutsches Mutterhaus lediglich die zwei Singles ebenfalls, aber Vertragspartner der Band war die EMI Switzerland! 1999 erschien bei Sony Deutschland “Sehnsucht” von 2 SHY! Da waren sie offenbar in Deutschland von Sony gesignt! Nun gut, kleines Detail (klingt halt besser bei Wikipedia….) Nun “I’d Love You To Want Me” gefiel nicht nur mir, nein auch Marcel Romanoff aus Holland hatte just zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ebenfalls die gleiche Idee. Wahrscheinlich hatte irgendwer von EMI Electrola dem Verlagsmenschen Ulli Jonas, der dort ein und aus ging, ein Muster gesteckt und dieser gab es an Marcel’s Manager (mit dem er befreundet war) weiter. Seine Version und die von 2 SHY waren nämlich praktisch identisch. Romanoff machte dann das Rennen; sein Videoclip war bombastischer und die Holländische Vertriebsfirma hatte einfach mehr Kohle. Trotz einem Video das wir in Ibiza drehten wurde das Teil kein Charterfolg. Das Musikbusiness ist gnadenlos! Ihre zweite Single “You Give Me All I Need” war und ist nach wie vor ein Ohrwurm und hatte grossen Erfolg am Radio und in Deutschland. Für einen Hitparadenplatz reichte es aber nur beim Lokalsender Radio Köln. EMI Electrola zahlte noch einen (nie fertig gestellten) Videoclip aber verschlampte es den Titel wirklich zu promoten. Nach meinem Abgang bei EMI managte ich gut 18 Monate die Band, bevor es dann wegen Unstimmigkeiten zum Bruch kam (der Typ von der Discotheken-Bemusterung wollte, nachdem ich den Karren zum laufen brachte, die Managerfunktion übernehmen. Damit kam ich leider nicht klar, mein Vertrauen in die Band war beschädigt.



Vorerst letzter Blog-Eintrag


Das ist auf unabsehbare Zeit mein letzter Blogeintrag. Diese Geschichte wollte ich noch “los” werden, denn ich erinnere mich gerne an die Zeit mit Pitch und Steve und die Anfänge von Eurodance. Als DJ spiele ich diese Eurodanceklassiker heute wieder viel mehr; es sind ja schon praktisch “Oldies”. Und an der Ü40 Dance Party in Horw oder an der Oldies Night in Gränichen kommen DJ Bobo, Dr. Alban oder Haddaway immer grossartig an. Powerzone oder DJ Igo oder 2 SHY habe ich leider nie mehr aufgelegt…die Muster sind alle in der Phonoteca archiviert.
Ich habe mich während meiner Zeit als PR und A&R Manager bei EMI um viele Künstler gekümmert und viel Freizeit investiert. Ausser den Erinnerungen sind keine Freundschaften geblieben, nur mit den Jungs von der Rockgruppe China unterhalte ich mich noch via Social Media ab und zu. Rockerherzen sind treuere Seelen als Teenie Idole. Seit 2018 kümmere ich mich neben meiner DJ Tätigkeit um meine Frau, die seither mit der Diagnose Eierstockkrebs lebt. Mitunter auch ein Grund, wieso ich wenig Zeit zum bloggen finden werde.


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